offener Brief . Badener Zeitung

28. mai 2020

TROST VERLANGT NACH NÄHE

ehrenamtliche Tätigkeit (gerade jetzt) dringend gebraucht! 

Dr. Evelyn Hödl im Namen des Mobilen Hospizteams Baden (MHT)


Es ist eine paradoxe Welt, in der wir seit dem Ausbruch von COVID-19 leben. Abstand halten ist zum Zeichen der Fürsorge für die Anderen und gegenüber den Anderen geworden. Gerade ältere und sterbende Menschen wurden so zum besonderen "Objekt" dieser "Distanz-Fürsorge". Abschottung mochte wohl die Infektionsrisiken ausschalten - jedoch um den Preis der Isolation und Vereinsamung. 

 

Nicht nur die Familien von Betroffenen - Eltern oder Großeltern in Senioren- u. Pflegekompetenzzentren und Krankenhäusern, Familienmitglieder von Menschen mit besonderen Bedürfnissen, mussten diese letzten Wochen schmerzlich durchleben. Auch für die ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen in der Hospizbegleitung ergeben sich neue Herausforderungen und Fragen.

 

Es scheint befremdlich, dass rundum gesellschaftliche und wirtschaftliche Lockerungen erfolgen, der Zugang zu Pflegeeinrichtungen und Spitälern aber nach wie vor extrem eingeschränkt wird. Während der Konsum wieder angekurbelt wird, Sportvereine oder Bildungseinrichtungen wieder tätig werden dürfen, scheinen die Interessen und Bedürfnisse der Schwächsten weitgehend unbeachtet. Zweifellos sind Schutzmaßnahmen gegenüber den älteren und kranken Mitbürger*innen unumgänglich, dennoch scheint vielleicht einiges zum jetzigen Zeitpunkt hinterfragbar.

 

Wenig ist in der Öffentlichkeit die Rede von der seelischen, geistigen und sozialen Not, die durch die langen Besuchsverbote in Pflegezentren, Wohnhäusern für Menschen mit besonderen Bedürfnissen und Spitälern entstanden ist. Gerade in Situationen, wo liebevolle Begleitung und Betreuung, Berührung und Zärtlichkeit so wichtig sind für das seelische und körperliche Wohlbefinden, war und ist dies auf Grund der Beschränkungen auch weiterhin kaum möglich.

 

Keine Besuche: das bedeutet Isolation, Verlust von Tagesstruktur und Lebensfreude, Traumatisierung. Viele der betroffenen Menschen können die verordneten Maßnahmen nicht zuordnen und fühlen sich verloren, wenn ihre Lieben nicht mehr mit ihnen in Kontakt treten können. Für Familienangehörige und enge Freunde kann dies Gefühle von Schuld, Ohnmacht oder auch Zorn auslösen.

 

Wenn eine Tochter Angst hat, dass ihre alte Mutter im Heim an Isolation und Einsamkeit stirbt, und der Tochter nicht einmal erlaubt wird, ihre Hand zu halten, wenn Angehörige von Krankenhauspatienten erst im Nachhinein von deren Ableben erfahren und keine Möglichkeit hatten, in Würde Abschied zu nehmen, wenn Begräbnisregelungen die Teilnahme an Trauerfeiern nicht gestatten, dann werden die Spannungen zwischen Lebensschutz, Menschenwürde und Freiheit deutlich.

 

"Abstand halten" ist eine Forderung, die vernunftmäßig einsichtig ist. Für Menschen, die heilsame Nähe brauchen, Berührungen, Umarmungen, Miteinander, wird sie zur Seelenqual - ebenso für ihre Angehörigen, die draußen bleiben müssen. Dort wo Mitfühlen, Trost, Ermutigung, Zärtlichkeit eingefordert sind, versagen Video-Chats und Plexiglas. Erhöhte Medikation kann und darf hier keine Abhilfe schaffen. Derzeitige Lockerungen sind nicht wirklich hilfreich. 15 Minuten-Kontakte in Innenräumen, 30 Minuten im äußeren Bereich, Mund-Nasen-Schutz, Plexiglastrennwände. Eine Angehörige beschreibt den Besuch bei ihrer fast blinden Großmutter unter diesen Bedingungen als "diskriminierend, beschämend und würdelos". 

 

In dieser Situation versteht sich auch die Hospizbewegung gefordert:

Wir sind darum bemüht, die Besuchsdienste bei Patient*innen, die bisher von Mitarbeiterinnen betreut wurden, so weit wie es möglich ist wieder aufzunehmen. Besonders für Patient*innen oder Heimbewohner*innen ohne Familienangehörige sind diese Kontakte lebensnotwendig.

Wir wollen Familien, die Angehörige zu pflegen haben, in dieser Aufgabe unterstützen und begleiten und ihnen - unter Beachtung aller Auflagen - Trost und Halt geben.

 

Wir bieten Trauerbegleitung und Trauercafé an. Damit wollen wir Menschen, denen die Betreuung sterbender Angehöriger oder ein würdevolles Abschiednehmen nicht gestattet wurde, in ihrer Trauerarbeit unterstützen.

Wir wollen aber auch in Anwaltschaft für die betroffenen Gruppen – Krankenhauspatient*innen, Heimbewohner*innen - die keine Lobby und keine Stimme in der Öffentlichkeit haben, ihre Menschenwürde einmahnen.


Wenn das Leben zu Ende geht, 

und Du es möchtest,

bin ich an deiner Seite,

Wenn du Angst hast,

halte ich deine Hand.

Wenn du Durst hast,

gebe ich dir zu trinken.

Wenn deine Stirn heiß ist,

werde ich sie dir kühlen. 

 

(Cicely Saunders - 

Begründerin der modernen Hospizbewegung

und Pionierin der Palliativmedizin)